Eines muss zu Beginn dieses Tests gesagt werden: Ich bin Spidey-Fan, seit ich denken kann. Wurden wir in der Schule nach unseren Vorbildern gefragt, kam von mir meist „Spider-Man“. Ich habe die Zeichentrickserie der 90er verschlungen und keinen Kinofilm ausgelassen. Nein, ich habe nicht alle Comics gelesen. Dafür die Zusammenfassung aller Comics auf der DVD-Special-Edition zu Sam Raimis Spider-Man 2, die bis dato erschienen waren am Stück verschlungen und die Ultimate Spider-Man Reihe direkt verfolgt. Der Wandkrabbler, egal ob Peter Parker oder Miles Morales, hat also einen besonderen Platz in meinem Herzen. Deshalb sei gleich vorweggenommen: Für mich persönlich ist Spider-Man 2 für die PS5 eine zehn von zehn. Warum ich dem Spiel trotzdem keine 10/10 Wertung geben werde, erkläre ich euch in diesem Artikel.

Es ist Jagdsaison

Es gibt Menschen, die haben Hobbies. Und es gibt Menschen, die machen ihre Hobbies zum Beruf. Und dann gibt es wieder Menschen, die verfolgen ihr Hobby mit einer absolut ungesunden Besessenheit. Kraven, der neue Bösewicht in Spider-Man 2 geht zum Beispiel so gut und gerne jagen, dass ihm schlicht und ergreifend „würdige“ Ziele ausgehen. Da kommt ihm das von übermenschlichen Schurken wimmelnde New York gerade recht. Die Geschichte setzt nur kurze Zeit nach Teil eins und dem Zwischentitel „Miles Morales“ an und wirft dementsprechend beide Spinnen gleichzeitig in die Action, die auch beide von uns gesteuert werden können.

Denn moralisch einwandfrei wie sie sind, können Peter und Miles natürlich auch die übelsten Schurken nicht einfach dem Tod überlassen. Wie schon in den vorangegangenen Spielen führen die Ereignisse dazu, dass wir es nicht nur mit Kraven, sondern auch einigen anderen Antagonisten wie Sandman oder – wie bereits aus den Trailern bekannt – Spider-Man-Nemesis Venom aufnehmen müssen.

Kraven würgt ein Opfer.
Jäger Kraven ist so besessen von der Jagd, dass ihm der Mangel an starker Beute gewaltig stinkt. Natürlich hat er auch eine tiefere Motivation.

Die Handlung ist über weite Strecken großartig geschrieben und dreht sich größtenteils um durchaus ernste Themen wie innere Dämonen, Schuld und Sühne, letztendlich aber auch über Freundschaften und was sie manchmal aushalten müssen. Dabei kommt aber natürlich auch der für Marvel typische Humor nicht zu kurz und gerade Peter haut mal wieder einige gelungene One-Liner raus. Brachiale Action wechselt sich dabei mit ruhigen Momenten ab, die aber – bis auf eine einzige Ausnahme – trotzdem keine Längen aufweisen.

Das liegt an der schönen Inszenierung in Zusammenspiel mit dem stets tadellosen – teils sogar lizenzierten – Soundtrack. Wenn Peter und sein Freund Harry sich im Sonnenuntergang beim Basketballspiel an ihre Jugend erinnern und dabei New Slang von The Shins läuft, dann ist das einfach pure Wohlfühlatmosphäre. Dafür ballern die Actionszenen mit krachendem Orchester umso ordentlicher. Man muss die vorangegangenen Teile übrigens nicht zwangsläufig gespielt haben, um der Handlung folgen zu können. Es erleichtert aber vor allem den zügig gehaltenen Einstieg und den Bezug zu manchen Figuren.

Auch die wenigen, ruhigen Momente der Geschichte sind meist schön inszeniert. Manchmal bringen sie sogar spielerische Abwechslung, wenn auch nicht sehr pompös.

Gute Stories, schlechte Stories

Manche Handlungsstränge sind aber Comic-typisch schlichtweg dermaßen abgehoben, dass man selbst als Fan mit den Augen rollt. Wenn Peter und Harry mal eben einfach so zu zweit mit wenigsten Mitteln einen alten Kernreaktor reparieren können und Peter offenbar auch im Alleingang mal eben superresistente Pflanzen entwickelt: warum hat die Welt dann überhaupt noch Probleme? Selbst Mary Jane darf gegen Ende nochmal die Supertechniker Diagnose abgeben. Das Marvel Universum ist mit Teenager Superhirnen schlichtweg übersättigt, worunter die (im fiktiven Rahmen mögliche) Glaubwürdigkeit mitunter sehr stark leidet.

Das lässt sich vor allem auf einige Nebenquests übertragen, von denen manche von beiden Spider-Men, manche aber auch nur von Peter oder Miles angegangen werden können und ihre persönlichen Schicksale behandeln. Gibt uns der Storyverlauf gerade keinen von beiden vor, können wir jederzeit zwischen ihnen wechseln. Wir können dem anderen Spider-Man sogar in der Spielwelt begegnen und manche Kämpfe im Doppelpack bestreiten. Dann werden manche Takedowns zu Partneraktionen. Das wirkt sich zwar nur optisch aus, ist aber schlicht coole Kontinuität.

Takedowns sind wieder einmal spektakulär animiert und choreografiert.

Die persönlichen Nebenquests der beiden sind grundsätzlich aber sehr hochwertig. Vor allem Miles‘ Geschichten warten mit ein paar starken Einfällen auf, steht sein Charakter doch nicht zuletzt auch für Kulturelle Vielfalt und Inklusion. Manche sind aber auch simple Rätsel, die zum Ende hin in Try-and-Error ausarten. Auch hier warten zwar ein paar interessante Intermezzos auf uns, grundsätzlich muss man auf diese Aufgaben aber wirklich Lust haben, oder ein/e echte Komplettist/in sein, um sie alle durchzuziehen. Leider zwingt einem das Spiel die verschiedenen Aufgaben in gewissem Rahmen auf, da sie neben Erfahrungspunkten verschiedene „Marken“ liefern, die für verschiedene Aufwertungen benötigt werden. Dazu zählen zum Beispiel Energie und Schaden, die wir jetzt getrennt von allem anderen Aufwerten, oder unsere Netzattacken sowie Spezialangriffe.

Peter entdeckt eine Gruppe Menschen, die in einem leeren Wassertank eine Party feiern.
Die Spielwelt steckt voller charmanter Details, die wir zufällig finden können, meist aber durch Nebenquests entdecken.

Kämpfe, so geschmeidig wie Spideys Netze

Über allen Zweifel erhaben ist dagegen das Gameplay. Die Spider-Man Spiele von Insomniac sind für mich bis heute die einzigen, die das Free-Flow-Kampfsystem aus der Batman Arkham Reihe ebenbürtig kopiert haben. Mit Spider-Man 2 haben sie es übertroffen. Kombos lassen sich dermaßen zügig ausführen und stoppen, Ziele so geschmeidig wechseln und Manöver aneinanderreihen, dass es eine helle Freude ist. Wo wir in den ersten beiden Teilen noch ab und zu in einer Animation fest hingen und gegebenenfalls nicht mehr auf eine Attacke reagieren konnten, fühlt es sich jetzt so an, als ob wir unsere Gedanken direkt auf den Bildschirm zaubern können. Spidey’s Moves sind dabei natürlich noch viel spektakulärer, als die des dunklen Ritters und ergeben schlussendlich ein Kampfballett, das Seinesgleichen sucht.

Miles boxt einen Gegner durch die Luft.
Gegner angreifen, einspinnen, Gegenstände schleudern und schmeißen: Alles funktioniert mit etwas Übung wie aus einem Guss. Trotzdem sind die Kämpfe angenehm fordernd.

Das Moveset der beiden Spider-Men unterscheidet sich dabei etwas von den Vorgängern. Viele Manöver, die zuvor noch per Level Aufstieg freigeschaltet werden mussten, beherrschen sie nun von Anfang an. Die Netzgadgets wurden dafür leicht verändert und Peter und Miles bringen jetzt zudem jeweils eigene Spezialattacken mit. Für nahezu Alles, was wir in New York tun, gibt es Erfahrung und fast jedes Level-Up lässt uns neue Moves freischalten. Einige davon sind echte Gamechanger, die unsere Möglichkeiten im Kampf sinnvoll erweitern. Gegner mit dem Netz gezielt nach links und rechts schleudern zu können, zum Beispiel.

Viele verstärken aber auch schlicht nur vorhandene Attacken. Auch die meisten Netz-Gadgets dienen nur noch schlicht der Crowd-Control, also dazu, mehrere Gegner auf einmal behindern oder ausschalten zu können. Das kann man kritisieren und als einfallslos abtun. Ich persönlich halte es für eine kluge Designentscheidung, da die Kämpfe teils sowieso schon sehr ausufern und viel Konzentration erfordern. So bleibt es aber bei einer Anzahl an Möglichkeiten, die sich noch angenehm überblicken lässt und die man auch entsprechend alle sinnvoll nutzen kann. Die Gegnervielfalt bleibt dabei auf hohem Niveau erhalten und viele Feinde setzen wieder eine eigene Vorgehensweise voraus.

Skillmenü
Wir lernen Skills aus 3 Talentbäumen. Einer bringt beiden Helden neue Fähigkeiten, die anderen beiden sind jeweils Peter oder Miles vorbehalten.

Nichts hält uns auf

Aber kommen wir zu dem, was bei Spider-Man seit jeher am meisten Spaß macht: dem Netzschwingen durch New York City. Hier wurde im Gegensatz zu den Vorgängern so gut wie nichts verändert, außer dass wir im Menü jetzt Einstellen können, wie realistisch sich die Physik beim Schwingen verhalten soll (das Spiel bietet generell eine Menge Einstellungen auch zur Barrierefreiheit). Anfänger können so noch etwas mehr Manövrierfähigkeit herausholen. Ansonsten funktioniert das Herumgeschwinge so großartig wie eh und je und ist bis heute die spaßigste Art zur Fortbewegung in einem Videospiel aller Zeiten.

Spider-Man hängt über Kopf an seiner Netzleine, während er schwingt.
Das Schwingen durch New York ist authentisch wie eh und je und steuert sich immer noch brillant.

Doch auch hier packt Insomniac nochmal einen drauf. Den jüngeren Kinofilmen folgend, können die Spider-Men nun auch Netzflügel nutzen und damit durch die Lüfte gleiten. In engeren Straßenschluchten befinden sich dazu Windtunnel, die uns längere Strecken mit geradezu wahnwitziger Geschwindigkeit entlangrauschen lassen. Gelegentliche Aufwinde bringen uns bei Bedarf wieder nach oben. Die Netzflügel sind dabei vor allem zur Nutzung ÜBER den Dächern gedacht; genau dort, wo keine Netze mehr halt finden. Die Spielwelt (bisher Manhattan) wurde nämlich um die Stadtteile Queens und Brooklyn erweitert. Vor allem in Queens sind Hochhäuser eher rar gesät. Schwingen hat dort wenig Eleganz. Mit den Flügeln zischen wir auch in diesen Gebieten zügig zum Ziel.

Außerdem können wir nun auf manchen Dächern unsere Netze als Katapulte spannen und damit sofort auf Maximalgeschwindigkeit beschleunigen. Auch der Eastriver ist damit ratzfatz überquert. Auf kurze Strecke sind wir aber mit klassischem Schwingen meist doch schneller. So ergibt sich eine schöne Dynamik zwischen Schwingen und Flug. Mit der Fähigkeit, an Wänden zu laufen, kommt es im Grunde niemals dazu, dass wir irgendwo hängen bleiben können und so flüssig wie hier können wir uns nirgendwo sonst bewegen.

Spider-Man fliegt mit seinen Flügeln über New York herum.
Batman und Superman können einpacken, wenn man schwingen UND fliegen kann!

Technik, die begeistert

Falls ich es noch nicht habe durchblicken lassen: Spider-Man 2 ist ein technisches Brett! Es ist einer dieser Titel, bei dem man dieses „Next-Gen“ wirklich spürt (was, seien wir ehrlich, bei der aktuellen Generation leider viel zu lange auf sich hat warten lassen). Charaktermodelle und Animationen sind sehr hochwertig und vor allem die Beleuchtung ist ein wahrer Traum. Die rechenintensive Raytracing-Technik, die für realistischste Spiegelungen und Lichtbrechung sorgt, ist in jedem wählbaren Grafikmodus vorhanden. Das bietet bisher noch kein anderes Spiel auf Konsolen. Wir haben die Wahl zwischen einem Performance Modus, der 60 FPS über weite Strecken hält, dafür aber Details und Auflösung leicht nach unten schraubt. Der Grafikmodus bietet die volle Pracht bei 30 FPS. Wer jedoch einen modernen Fernseher mit VRR-Funktion (Variabler Bildrate) besitzt, bekommt auch durchaus stabile 40 FPS raus, was einen wunderbaren Kompromiss und die meiner Meinung nach beste Form, Spider-Man 2 zu spielen, darstellt.

Venom lacht ins Bild.
Da hat Venom gut lachen: Besser sah auch er nie aus!

Dazu kommt, dass dieser Titel die Fähigkeiten der PS5 wirklich in Gänze nutzt. Ähnlich wie bei Ratchet und Clank: Rift Apart sehen wir hier eine meisterhafte Nutzung der SSD-Festplatte. Bereits beim Intro-Kampf gegen Sandman wechseln wir fließend zwischen beiden Spider-Men hin und her und erleben, wie ein kompletter Stadtteil mit Sand bedeckt wird und sich dynamisch verändert. Da werden unsere Helden auch mal mit einem kräftigen Hieb drei Blocks weit durch Hochhäuser geprügelt und katapultieren sich mit ihren Netzen, begleitet von einer achterbahnmäßigen Kamerafahrt, direkt wieder zurück zum Absender. Alles ohne Ruckeln, Schnitt und die geringste Ladeunterbrechung! Und so geht es über weite Teile des Spiels weiter. Ich persönlich brauche keine Kinofilme mit dem Netzschwinger mehr. Garniert wird das Ganze mit einer nahezu perfekten Steuerung und Spielbarkeit.

Spider-Man schaut vom Dach eines Hochhauses über den Central Park.
Eine riesen Spielwelt voller Details und stets flüssig, egal in welchem Modus.

Auch kleine Gimmicks werden konsequent genutzt. So klingeln die Lautsprecher der Controller für eingehende Anrufe und die adaptiven Trigger reagieren auf den Zug der Netze. Die Sahnehaube ist die reife Leistung der deutschen Synchronschauspieler, kaum eine Sprechrolle macht hier einen deplatzierten Eindruck oder fällt großartig zurück. Die Lippen-Synchronität lässt leider manchmal etwas zu wünschen übrig, das tut der Atmosphäre aber keinen großen Abbruch. Worüber sich aber unter dem Spieler:innen offenbar die Geister scheiden, ist die Bug-Freiheit des Abenteuers. Mir selbst ist es leider drei Mal passiert, dass mein Spiel ohne erklärlichen Grund aus dem Nichts angestürzt ist. Zum Glück sind Rücksetzpunkte stets sehr fair gesetzt. Manch andere/r hat derweil gar keine Probleme, weitere berichten wiederum von einem Bugfest. Mittlerweile sind ein paar Patches ins Land gegangen, diese Probleme könnten also inzwischen behoben sein.

Fazit 9/10

Ich habe es bereits zu Beginn angekündigt: Für mich als Fan ist Spider-Man 2 eine 10/10 und dabei bleibe ich. Ich will den Titel aber möglichst mit nüchterner Betrachtung bewerten und da wird schnell klar, was dieses Spiel ist: Eben ein Spiel für Spidey-Fans! Schon die Einführung versucht den Spagat, Neulinge abzuholen, aber vor allem Spieler:innen der ersten beiden Teile nicht zu langweilen und steigt entsprechend flott ein. Über so manch eklatante Schwächen in der Handlung können Comicleser:innen schnell hinwegsehen, denn sie sind nichts anderes von Marvel gewohnt. Wer einfach ein gutes Action-Adventure sucht, wird hier ebenfalls wunderbar bedient, wird sich aber auch ab und an die Haare raufen oder den Kopf gegen die Wand hauen. Auch manche Nebenquest-Reihen sind absolute Geschmacksache, meist aber auch optional.

Das Skillsystem bleibt ebenfalls sehr seicht. Anspruch braucht man hier nicht suchen. Wenn ihr Kämpfe in Spielen nur nach Effizienz bestreitet, ist Spider-Man 2 eventuell das falsche Spiel für euch. Hier geht es um die Freude am schnellen Reagieren und Improvisieren, sowie experimentieren. Die meisten Gegner lassen sich natürlich mit den Standardkombos besiegen. Auf den Spaß, andere Möglichkeiten zu nutzen, muss man sich einlassen. Allerdings ist dieser Umstand bezeichnend für das ganze Spiel. Beim Schwingen könnte man ebenso fast nur auf das Fliegen setzen und käme vermutlich in den meisten Fällen am schnellsten ans Ziel. Schwingen und Fliegen im Wechsel macht aber schlicht mehr Spaß! Insomniac bietet uns hier in fast allen Bereichen die Freiheit, so zu spielen, wie es uns am meisten Spaß macht. Also kann ich euch genau das nur wärmstens ans Herz legen.

Dazu kamen die Paar Abstürze während meiner Testerfahrung. Dazu kommt eine im Open-World-Bereich recht kurze Spielzeit von maximal etwa 30 Stunden für 100%. Für meinen Geschmack genau richtig, andere wird’s sicher stören. Ohne die Fanbrille, die mich all diese Schwächen mit einem Schulterklopfen hat verzeihen lassen, kann ich Spider-Man 2 also „nur“ eine wohlwollende neun geben. Denn unterm Strich bekommt man hier genreübergreifend eine technisch immer noch unheimlich saubere, beeindrucke Action-Achterbahnfahrt, die einem bis zum Finale kaum Zeit zum Atmen lässt und mit dem vielleicht besten Spielfluss aufwartet, den ihr aktuell – plattformübergreifend – erleben könnt.

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