Earthless

Raumschiff fliegt auf unbekannten Planeten zu.

Andre schreibt…


Dass die Menschheit den Planeten Erde irgendwann (zwangsweise) verlassen muss, ist zumindest im Science-Fiction-Bereich und auch für unsere aktuelle Wissenschaft nahezu beschlossene Sache. Folglich sucht man emsig nach einer Alternative. In Earthless vom Indie-Studio Blackbird Interactive ist diese beim Weltuntergang noch nicht gefunden und die verbleibenden Menschen machen sich in Raumfahrtgeschwadern auf die Suche nach einer neuen Heimat im endlosen All. Eine Ausgangslage, die sich für das Roguelike-Genre geradezu anbietet, da man sich selten sicher sein kann, was einen als nächstes erwartet. Ich konnte eine geschlossene Beta-Version des PC-Titels anspielen, der Anfang 2024 in den Early-Access geht.

Earthless Routenkarte auf dem Holodeck.
Das Holodeck ist der einzige Ort, an dem wir uns in Earthless aufhalten. Simpel, aber clever und äußerst atmosphärisch.

Die Kommandozentrale in meinem Wohnzimmer

Was direkt zu Beginn auffällt, ist die schlichte, aber sehr zielsichere Präsentation. Das komplette Spiel über befinden wir uns als Captain unseres Schiffes am Kommandodeck, dass uns sowohl sämtliche Menüs auf diversen Bildschirmen als auch Schlachtfelder und mögliche Routen durchs All auf dem Holotisch präsentiert. Die Wechsel passieren zu jeder Zeit nahezu nahtlos. Grafik und Animationen, wie auch die Aufmachung der Geräte lassen nostalgisches Sci-Fi-Feeling aufkommen. Zudem fühlt man sich wirklich wie der Entscheider an Deck. Wer Star Wars, die klassischen Alien-Filme oder auch Sci-Fi-Literatur wie Ender’s Game mag, wird hier wohlige Schauer über den Rücken ziehen spüren. In Sachen Atmosphäre punktet Earthless also schon jetzt und wagt einen Ansatz, den es in dieser Konsequenz nicht all zu oft zu sehen gab.

Anzeige für Beute auf dem Bildschirm.
Der Stil an Deck orientiert sich an Science-Fiction-Klassikern der 80er.

Karten auf den Tisch

Gameplay technisch verbindet Blackbird Interactive Roquelike- und Deckbau-Elemente mit Rundenstrategie. Wir wählen zunächst auf unserer Raumkarte eine Route zum nächsten Zwischenziel aus. Das können Kämpfe oder Ereignisse sein. Die Routenkarte wird Roguelike-typisch bei jedem Spiel zufällig generiert. Startet ein Kampf, wechselt das Holodeck auf die Schlachtfeld-Ansicht. Diese sind in quadratische Felder unterteilt, auf welchen wir unser Schiff bewegen können. Die Ziele variieren, meistens geht es aber darum alle Feinde auszuschalten oder schlicht den gegenüberliegenden Ausgang zu erreichen.

Dabei gilt es mit zwei Arten von Ressourcen zu jonglieren. Bewegen wir uns, sammelt unser Schiff Hitze an, bei voller Anzeige geht es keinen Parsec mehr vorwärts. Dazu benötigen wir Energie zum Ausspielen unserer Karten. Davon haben wir grundsätzlich maximal 4 Einheiten pro Zug zur Verfügung, sofern wir nicht mit bestimmten Karten wieder aufladen. Wie viel Energie verbraucht wird, hängt von den jeweiligen Karten ab. Mithilfe unserer Karten greifen wir etwa auf verschiedene Arten an, fahren unsere Schutzschilde hoch, kühlen unser Schiff ab oder mischen unsere Hand neu. Die Funktionen sind grundsätzlich recht simpel. Dennoch will die Reihenfolge aus Bewegung und dem Ausspielen der Karten gut überlegt sein, um das maximum aus der jeweiligen Situation herauszuholen. Bisher macht es aber den Anschein, als ob zügiges ausschalten der Gegner stets die effektivste Strategie darstellt. Wer sich zu lange defensiv verhält, bekommt am Ende trotzdem unnötigen Schaden und hat langfristig wenig davon. Nichtsdestotrotz entwickelt sich schnell ein angenehmer Spielfluss in den Gefechten; auch, weil sie sehr zügig ablaufen und meist übersichtlich bleiben. Nach gewonnenen Kämpfen wartet Beute in Form von Materialien oder einer von drei neuen Karten auf uns, durch deren Auswahl wir unser Deck erweitern.

Schlachtfeldkarte. Viele Felder sind mit Feuer belegt. Drei Feinde in Angriffsreichweite.
In manchen Szenarios sind Felder mit Schadenseffekten belegt. Asteroiden hingegen können sowohl als Deckung dienen, als auch Hindernisse darstellen.

Treib‘ keinen Schmuh mit deiner Crew

Wählen wir auf unserer Route keinen Kampf, sondern ein Ereignisfeld aus, passieren meist Dinge in oder um unser Schiff herum, die unsere Entscheidungsfreudigkeit auf die Probe stellen. Zum Beispiel hat die Crew Technologie feindlicher Schiffe analysiert und fordert einer Entscheidung, was damit geschehen soll. Natürlich will unser Waffenoffizier damit unsere Kanonen verstärken. Der Wissenschaftsoffizier will aber viel lieber in medizinischen Fortschritt investieren. Je nachdem, wie wir uns nun entscheiden, bekommen wir entsprechende Boni, beeinflussen aber auch die Zufriedenheit der Crewmitglieder. Derzeit scheint das Moralsystem noch keinen sonderlich relevanten Einfluss auf das Spielgeschehen zu haben und es hat sich bewährt, stumpf auf Waffengewalt zu setzen oder einfach die Option zu wählen, die den meisten Offizieren in den Kurs passt. Das sollte sich im Early Access unbedingt ändern. Die Idee ist zwar längst nicht neu, passt aber super ins Setting und bietet eine Menge Potential. Zumal wir auch ab und an mit moralisch wirklich schwierigen Entscheidungen konfrontiert werden, die im aktuellen Zustand aber nicht ansatzweise so nahe gehen, wie sie sollten.

Crewabstimmung über den Verwendungszweck feindlicher Technik. Drei Offiziere stimmen für Waffenausbau, einer dagegen.
Wie im realen Leben – Irgendwer wird immer meckern.

In anderen Events können wir einen unserer Offiziere verstärken, um passive Zusatzfähigkeiten zu bekommen. Unsere Navigatorin erlaubt uns dann beispielsweise, uns auch diagonal zu bewegen, was von unschätzbarem Wert sein kann. In anderen Events bekommen wir Artefakte, mit denen wir jeweils eine unserer Karten ausrüsten und dauerhaft verstärken können. Erhalten wir Baupläne, können wir uns aus gesammelten Materialien neue Karten herstellen. Alte Karten, die nicht mehr in unser Deck passen, können wir wiederum recyclen. Die einzelnen Systeme sind ebenso wie der Kampf sehr simpel gehalten, funktionieren aber einwandfrei und zahlen voll aufs Belohnungszentrum ein.

Wer ist der Boss?

Leider scheinen die Events derzeit noch einen Tick zu mächtig. Es macht aktuell offenbar keinen Sinn, auf der Routenkarte einen Kampf zu wählen, wenn man auch die Wahl hat, ein Event zu starten. Neue Karten sind selten so mächtig, dass sie eine neue Fähigkeit aus einem Event oder eines Artefaktes im Wert übersteigen könnten und dabei das Risiko rechtfertigen, Schaden aus dem Gefecht davonzutragen. Denn am Ende des Spieldurchlaufs wartet stets ein Boss auf uns. In der Beta ist dies immer ein Mutterschiff mit vier reichweitenstarken Kanonen, die dazu nach jeder Runde zielsuchende Raketeneinheiten beschwören. Geht man beschädigt in das Gefecht, kann schnell Schluss sein. Mit einer heilen Fregatte steht man hingegen selten vor großen Problemen, der Schwierigkeitsgrad der Beta ist moderat. Die richtigen Karten vorausgesetzt lässt der Boss sich sogar ohne Schaden zu nehmen in Weltraumschrott verwandeln. Dazu gehört aber eine Menge Glück bei der Beute.

Kampf gegen mehrere Schiffe.
Kämpfe bilden natürlich das Kerngameplay, sind im Vergleich zu den Events aber selten das Risiko Wert.

Fazit

Earthless hat das Potential, ein wunderbar kurzweiliges Roguelike für zwischendurch zu werden. Schon die Beta macht sehr viel richtig, zieht einen schnell in ihren Bann und unterhält. Beendet man den recht kurzen Lauf der Vorschauversion, verspricht Blackbird Interactive für die Early Access Version den kompletten ersten Akt der Kampagne, mindestens drei Bosse, über 90 Karten, mehr als 20 Gegnertypen, über 50 Crewmitglieder und hunderte von Upgrade-Möglichkeiten. Das ist auch bitter nötig. Denn der Umfang ist derzeit noch die große Schwäche von Earthless. So kurzweilig meine Ausflüge ins All auch sind, es stellen sich dann doch auch immer wieder recht schnell Abnutzungserscheinungen ein. Um die vier Gegnertypen und ein Boss halten einfach nicht lange bei der Stange. Umso gespannter bin ich auf die EA-Version, die sogar einen Koop-Modus bieten soll! Sich mit einem Freund durchs All zu taktieren, könnte gleich noch einmal so viel Spaß machen. Vorausgesetzt, das Balancing und der Schwierigkeitsgrad ziehen entsprechend an. Denn die Beta scheint einfach etwas zu leicht, um Taktik-Enthusiasten dauerhaft zu motivieren. Bleibt das Niveau wie es ist, haben wir es hier eher mit einem Einsteiger-Deckbau-Roguelike zu tun, was natürlich nichts Schlechtes sein muss. Was sich aber dringender ändern sollte, ist die Relevanz unserer Crew-Moral. Die Mechanik glänzt derzeit noch mit fehlender Konsequenz und vergeudet Anspruch und Atmosphäre. Dennoch bin ich optimistisch, dass wir hier einen Titel in der Mache haben, der unbedingt eine faire Chance bekommen sollte. Weil er sich nicht übernimmt und im Gegensatz zu so einigen Negativbeispielen aus der jüngeren Gaming-Vergangenheit, dank cleverer Designentscheidungen aus wenigen Mitteln eine Menge herausholt.

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