Wir befinden uns im Jahr 1858. Die glorreiche Zeit der Samurai neigt sich immer mehr dem Ende entgegen. Schusswaffen halten nun auch im Reich der aufgehenden Sonne immer mehr Einzug und verdrängen die legendären Schwertkämpfer. Japan öffnet sich immer mehr den damaligen Großmächten, um noch im Ansatz an alte Zeiten anknüpfen zu können. 

Ungefähr in dieser Art und Weise könnt ihr euch den neusten und mit Sehnsüchten erwarteten Titel „Rise of the Ronin“ vom Entwickler „Team Ninja“ vorstellen. Seit der Veröffentlichung am 22. März 2024 haben wir schon über ein Dutzend Stunden in das Spiel geworfen und möchten unsere Erfahrungen nun mit euch teilen. 

Charaktererstellung mal anders

Zu Beginn jedes Action-RPG steht die Erstellung des eigenen Charakters auf der „To-Do-Liste“. Und so ist es in „Rise of the Ronin“ natürlich auch. Wir können uns mit der Gesichtform, Körpergröße, Haaren, Bart und vielem mehr auseinandersetzen und den für uns bestaussehendsten Charakter in ganz Japan kreieren. „Team Ninja“ gibt uns im Vergleich zu anderen Rollenspielen schon eine sehr umfangreiche Palette an Möglichkeiten zur Hand, um den gerade angesprochenen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Selbst Details wie bspw. Strähnen in die Frisur einzubauen, ist ein bis dato nie vorgekommenes Merkmal. 

Das soll aber nicht das krasse Unterscheidungsmerkmal zu anderen Charaktereditoren sein. Vielmehr ist es die Tatsache, dass wir zu Beginn nicht einen Charakter, sondern genau zwei Eidgenossen erstellen dürfen. Für meinen Spieldurchlauf entschied ich mich ganz romantisch für Mann und Frau. Wie es mit den beiden nach der Erstellung weitergeht, erfahrt ihr in den nachfolgenden Abschnitten.

Die namenlosen Protagonisten der „verborgenen Schneide“.

Ansprechende Story mit kleinen Schwächen

In jedem geschichtsträchtigen Spiel stellt sich mir die Frage, inwiefern die Entwickler historisch genau waren oder ob wir es eher mit einer fiktiven Storyline zu tun bekommen. Und tatsächlich bin ich auf einen Welt-Artikel aus dem Jahre 2022 gestoßen. In dem Artikel erfährt man, dass der damalige US-Präsident Fillmore ein Navy-Geschwader nach Japan schickte (vgl. Seewald, 2022). Am 8. Juli 1853 lief Commodore Matthew Calbraith Perry in der Bucht von Edo (dem heutigen Tokio) ein (ebd.). Die Besatzung der vier dampfgetriebenen Kriegsschiffe soll sehr selbstbewusst und bestimmt aufgetreten sein, da sie scheinbar sofort auf eine Audienz mit dem Kaiser pochten (ebd.). In dieser Audienz wurde die Aufhebung von Handelsbeschränkungen und ein Niederlassungsrecht gefordert (ebd.). Laut Seewald drohte Perry damit, dass er nach der Bedenkzeit mit einer größeren Flotte zurückkehren werde. Und dies geschah auch im Jahre 1854 als plötzlich acht Schiffe mit 1600 Mann Besatzung in Edo landeten (vgl. Seewald, 2022). So kam es am 31. März 1854 dazu, dass die Konvention unterzeichnet und die Beziehungen darin inkl. der Öffnung von zwei Häfen für US-Schiffe geregelt wurden (ebd.). 

Genau an dieser Stelle setzt „Rise of the Ronin“ seine Geschichte an, so dass wir uns also an einem historischen Leitfaden entlang hangeln. Ihr könnt also damit rechnen, dass ihr auf keine Monster oder Fabelwesen trefft, die in Soulslike-Spielen eigentlich Gang und Gebe sind. 

Die Hauptstory dreht sich aber vielmehr um unsere beiden Charaktere vom Anfang. Wir gehören zum Kurosu-Clan und bilden ein Kriegerpaar, welches sich die „verborgene Schneide“ nennt. Die Ausbildung genossen wir von einer fähigen Kampfkunstmeisterin, um uns gegen das Shogunat aufzulehnen. Der Grund für diese Denkweise ist so simpel wie einem auch des Öfteren schon einmal begegnet – nach einem Überfall wurden die Familien der beiden Charaktere getötet und wir wollen uns rächen. 

Die Zwillingsklingen im Einsatz.

Nach den ersten Schritten, die einem typischen „Ich-lerne-die-Bewegungsmuster-kennen“-Schema gleichen, landen wir auf einem der schwarzen Schiffe. Dort angekommen versuchen wir, den Commodore zu töten. Allerdings werden wir durch einen blauen Samurai mit Maske daran gehindert. Diesem sind wir verständlicherweise vollkommen unterlegen und plötzlich stehen wir vor der ersten harten Entscheidung. Nur einer unserer zuvor erstellten Recken kann das Schiff lebend verlassen! Der Andere stürzt sich heldenhaft in den Tod, um uns die Flucht zu ermöglichen. 

Und damit herzlich Willkommen in „Rise of the Ronin“. 

Ich denke ihr könnt bereits erahnen, was nun die Aufgabe für unseren Ronin sein wird. Richtig, wir sind auf der Suche nach dem blauen Samurai und nach dem Schicksal unseres verschollenen Zwillings. Ehrlicherweise hat man diesen Storyfaden schon so oft durchlebt und nachgespielt, dass man sagen muss, es wäre mehr drin gewesen. 

Auf dieser Suche geraten wir zusätzlich noch zwischen die Fronten von Nationalisten und Royalisten. Also derer, die Japan weiterhin von der Außenwelt abschotten wollen und sich gegen das Shogunat stellen und derer, die prinzipiell das Gegenteil davon anstreben. Gerade dieser Konflikt inkl. der Taten und den resultierenden Emotionen macht den Mehrwert der Story aus. Hier hätte man den Fokus setzen und uns als Spieler noch mehr in die eine oder andere Richtung drängen können. Allerdings bleibt unser Charakter stets in einer neutralen Haltung. Getreu dem Motto: „Ich bin auf der Seite, die mir das meiste Geld zahlt!“ und „Ich habe meine eigene Mission!“. 

schöne Spielwelt und im Hintergrund der Berg Fuji.

Das Handlungsdesign

In diesem Abschnitt soll es sowohl um die Missionen gehen, welche mit der Story in Verbindung stehen, als auch mit sämtlichen anderen auf der Karte zu findenden Möglichkeiten. 

Das Spiel preist eine Open-World an, die ich eher als Semi-Open-World bezeichnen würde. Man bereist im Spiel nämlich drei große Städte inkl. dessen Umland. Neben Yokohama kommen wir im Laufe der Story noch nach Edo (Tokio) und Kyoto. Innerhalb dieser separaten Karten kann man sich frei bewegen. Die Fortbewegung klappt dabei sehr zügig, egal ob man mit den Gleitflügeln, zu Pferd, zu Fuß oder mit Hilfe der sehr üppig platzierten Schnellreisepunkte unterwegs ist. 

Karte der Spielwelt Yokohama und dessen Umland.

Grundsätzlich muss man sagen, dass die Menge an Fortbewegungsmöglichkeiten auch notwendig ist, da es in der Spielwelt so einiges zu tun gibt. Bspw. muss man auf Türme klettern, um Schnellreisepunkte freizuschalten („Assassins Creed“ lässt grüßen) oder Dörfer von Banditen befreien. Aber auch ganz typische Sammelobjekte wie z. B. Katzen streicheln oder Fotopunkte kann man finden. Des Weiteren tauchen immer wieder Nebenquests auf, welche man absolvieren kann. 

Allein in der Umgebung um Yokohama kann man sich verlieren und locker seine zehn Spielstunden lassen. 

Das große Problem ist aber der Abwechslungsreichtum. Wenn man jedes Gebiet der Karte auf 100% haben möchte, weil man dafür ja entsprechend entlohnt wird, artet das sehr in Arbeit aus. Es wirkt sehr überladen und wird dann nur noch langweilig. Außerdem besteht ein Großteil, wenn nicht sogar jede Mission daraus, dass ich irgendjemanden mit meinem Katana einen Kopf kürzer machen soll. Selbst wenn ich am Hafen von Yokohama einen Streit zwischen Nationalisten und Royalisten schlichten soll, endet das in einem Gemetzel.

Ein weiterer Punkt sind die optionalen Aufgaben während der Hauptmissionen. Es geht immer nur darum, eine gewisse Anzahl an würdigen (stärkeren) Gegnertypen zu besiegen. Das ist für solch einen Titel einfach zu wenig.  

Der Kampf gegen Schläger der Royalisten; links oben das typisch optionale Quest.

Besonders kurios und fragwürdig waren die Storymissionen, die sich um die beiden Fraktionen drehten. Ich habe mich für die Nationalisten entschieden, um ihnen im Kampf gegen das Shogunat zu helfen. Allerdings musste ich im Anschluss auch die Missionen für die Royalisten erledigen. Das soll heißen, ich habe meinem Samurai-Kumpel gerade geholfen, um ihm im Nachgang mit der anderen Fraktion den Hintern zu versohlen. Es stellt sich die Frage, wieso muss ich dem auf die Mütze hauen, dem ich eigentlich helfen wollte?

Diese Paarung aus zuvor besprochener Story, fragwürdigen Aufgaben und Überladung mit Aufgaben und Sammelobjekten drückt den guten Gesamteindruck des Spiels. 

Kampfmechanik, die ihresgleichen sucht

Wenn es einen Punkt gibt, an dem das Spiel zu glänzen vermag, dann ist es genau dieser. Das Kampfsystem ist wirklich eine Augenweite. Es ist anspruchsvoll, aber doch simpel und intuitiv. Es gibt eine unglaubliche Vielfalt an verschiedenen Waffengattungen, die sich vom Katana über eine Zweischwerttechnik bis hin zu diversen Stangenwaffen ziehen. Hinzu kommen noch die Fernkampfwaffen mit Pfeil und Bogen, Pistolen und Gewehren. Und man muss sagen, dass die Handhabung mit allen Waffen sehr flüssig und sauber ablaufen. Durch die Benutzung einer bestimmten Gattung levelt man diese und macht bspw. mehr Schaden oder erhält kleinere Boni.

Das soll es auch noch nicht gewesen sein. Denn jeden Waffe kann mit einer von drei anwählbaren Haltungen geführt werden. Die Haltungen sind wiederum für verschiedene Gegner von Vor- oder Nachteil. Allerdings hilft uns die beste Waffe nichts, wenn wir die Hiebe der vielen Schergen nicht parieren können. Hier braucht es etwas Übung – besonders im Kampf mit Bossgegnern. Die Frustmomente eines „Dark Souls“ halten sich aber in Grenzen.

Hokushin Otto-ryu (li.), Shinto Munen-ryu (mi.), Yagyu Shinkage-ryu (re.).

Mit Hilfe der drei Schwierigkeitsgrade (Morgengrauen, Abenddämmerung & Zwielicht) erhält man ein sehr einsteigerfreundliches Soulslike – normalerweise kann man in diesem Genre keinen Schwierigkeitsgrad wählen. Nach Abschluss der Handlungen kann man sich sogar in einer vierten Stufe beweisen. Wer dennoch nicht das Licht am Ende des Tunnels erkennen kann, der darf in den Hauptmissionen auch seinen Kumpel aus dem Nachbarort mit einspannen, um mit ihm gemeinsam den Boss zu besiegen. 

Skillsystem mit Drang zur Allgemeinheit

Den Abschluss des Testberichts soll das Skillsystem machen. Es besteht aus den grundlegenden Werten „Stärke“, „Geschicklichkeit“, „Charme“ und „Intelligenz“. Jeder Fertigkeitszweig forciert eigene Handlungsmöglichkeiten. Das bedeutet, mit Stärke verbessern wir unsere „Hau-Drauf“-Fähigkeiten und mit Intelligenz oder Charme können wir eigene Verbrauchsgüter herstellen oder haben mehr Auswahlmöglichkeiten in Dialogen. Leider ist unser Charakter nur während Zwischensequenzen vertont. Während „normaler“ Unterhaltungen sind wir eher ein schweigsamer Bruder. Der Aufbau einer emotionalen Bindung zu unserer eigenen Spielfigur, ist dadurch eher schwierig. 

Der Fähigkeitenbaum „Stärke“.

Aber zurück zum Fähigkeitenbaum. Wie bereits angesprochen, erhalten wir über Quests, Erkundungen u. v. m. Fertigkeitspunkte, welche allgemein in jeden der vier Zweige einsetzbar sind. Zusätzlich dazu erhalten wir aber auch noch speziell für einen Zweig Punkte. Man muss also genau schauen, mit welcher Art von Punkten erhalte ich meine neue Fähigkeit wie bspw. den Greifhaken. Im Grunde genommen funktioniert dieses Prinzip einwandfrei. Wir Leveln auf, werden stärker und erhalten neue Fähigkeiten, um unseren Gegnern eins auf die Mütze zu hauen. Ihr merkt es sicher bereits, aber unser alter Ego wird ganz allgemein immer besser. 

Das Problem an dieser Sache werden wohl unsere „Dark Souls“-Fans auf Anhieb wahrnehmen. Das Spiel ermöglicht es uns nur ansatzweise in die eine oder andere Richtung zu leveln. Damit wird eine Spezialisierung auf einen Kampfstil sehr außen vor gelassen. Wir können also nicht sagen, dass wir die erhaltene Erfahrung und die Fähigkeitspunkte allein in Stärke setzen oder auf die Ausdauerwerte, damit wir mehr Schläge austeilen können. Das ist sehr schade, da man sich dadurch ein Austüfteln und „Herumspielen“ mit den verbliebenen Fähigkeitspunkten verwehrt.

Fazit 7/10

Als Fan der „Dark Souls“-Reihe sowie der „Nioh“-Reihe war ich direkt Feuer und Flamme als ich von „Rise of the Ronin“ hörte. Und ich wurde auch nicht enttäuscht. Das Spiel macht einen durchaus guten Eindruck und bringt eine schöne Spielwelt mit etlichen Aufgaben mit sich. Die Schwierigkeit lässt sich auf die persönlichen Vorlieben einstellen und hat für alle Spieler, die sich mit den Szenario identifizieren können, Platz. 
Allerdings scheint dieser Titel in der Community sehr kontrovers beurteilt zu werden. Das eine Lager spricht von dem besten Spiel seit langem, wo hingegen das andere Lager das Spiel als sehr schlecht ansieht. Das Problem ist, dass „Rise of the Ronin“ sehr mit „Ghost of Tsushima“ verglichen wird. Wenn wir dies tun, muss ich klar sagen, es reicht definitiv nicht heran. Nehmen wir es allerdings so wie es ist bzw. vergleichen wir es mit Spielen der „Nioh“-Reihe, kann man schon ein Fazit zwischen gut und sehr gut ziehen. Wir können uns frei innerhalb der drei Welten bewegen, wo man in „Nioh“ lediglich in Menüs zur nächsten Mission gelangt ist. Hier ist „Team Ninja“ auf einem guten Weg, auf dem es aber noch so manchen Stein zu finden und zu beseitigen gibt.