Visions of Mana

Visions of Mana Titel

Zumindest für Ü30-Gamer ist Secret of Mana für das SNES eines der besten RPGs der 16-Bit-Ära, wenn nicht sogar aller Zeiten. Das könnte unter anderem daran liegen, dass die ruhmreiche Action-RPG-Reihe seit den 2000er-Jahren sehr zurückhaltend mit neuen Teilen umgeht. Die meisten Veröffentlichungen waren Remakes oder Remaster alter Teile aus den 90ern. Mit Visions of Mana bekommen wir endlich nach fünfzehn Jahren einen vollwertigen neuen Teil aufgetischt. Noch besser: Wir werden glücklicherweise nicht enttäuscht – sofern wir mit der richtigen Erwartungshaltung rangehen.

Eine Reise voller Emotionen

Visions of Mana wirft uns in eine Welt, deren Schicksal von einem deprimierenden Kreislauf bestimmt wird. Alle paar Jahre erwählen die Elementargeister jeweils sogenannte „Geweihte“. Diese treten, von einem ausgebildeten „Seelenwächter“ begleitet, eine beschwerliche Reise zum Manabaum an, nur um dort Ihre Seelen zu opfern. Ohne dieses regelmäßige Ritual käme der Manafluss zum erliegen und Gebiete, deren Geweihte keine Seele spenden, fallen Naturkatastrophen zum Opfer.

Manabaum© Square Enix
Bereits das Intro von Visions of Mana setzt den emotionalen Ton für das restliche Spiel. Eine bittersüße Reise voller Schönheit, Witz und Traurigkeit.

Die Einwohner der Welt Qi’Diel haben dieses traurige Los schon lange verinnerlicht und als gegeben akzeptiert. So auch unsere Hauptfigur, der junge Seelenwächter Val und seine geliebte Freundin Hina, die frischerkorene Geweihte des Feuers. Voller Stolz und Pflichtgefühl brechen die beiden zu einer Reise auf, die ihre zutiefst melancholischen Prämisse teilweise wirklich groß ausspielt aber trotzdem mit einer Leichtigkeit verbindet, die das schwere Thema auch für ein jüngeres Publikum (USK ab 12) verträglich macht.

Wie es sich für ein japanisches RPG gehört, nimmt die Handlung unterwegs ein paar spannende (teils unerwartet drastische) Wendungen, stellt immer wieder die Charakterstärke der Hauptfiguren auf den Prüfstand und konfrontiert sie mit der Frage, wie weit Ihre Aufopferungsbereitschaft reicht.

Visions of Mana Val und Hina© Square Enix
Wir starten die Reise mit Val und Hina. Nach und nach schließen sich weitere Geweihte an.

Wie ein Spaziergang durchs Museum

Visions of Mana bietet keine durchgehende, offene Welt. Stattdessen schickt uns das Spiel in einzelne, große Areale und Städte, die wir zu Fuß oder mit diversen Reittieren bereisen. Großzügig gesetzte Speicherpunkte dienen gleichzeitig als Schnellreisepunkte. Durch einen cleveren Aufbau der Umgebung gestaltet sich die Reise stets kurzweilig. Jederzeit erspähen wir die nächste Truhe, die sich zu öffnen lohnt. Manche Sammelgegenstände sind so verteilt, dass sie uns regelmäßig dazu einladen, einen kleinen Schlenker zu machen oder eine bestimmte Jump ’n Run Passage zu nehmen. Dank des flotten Movements fühlt sich das Ganze immer dynamisch an und die Bewegung durch die Welt alleine macht Spaß.

Visions of Mana Carina springt durch die Welt© Square Enix
Die Welt führt uns durch cleveres Design stets motiviert zum nächsten Ziel und unsere Charaktere sind agil unterwegs.

Dazu lockern die sogenannten Elementarreliquien das Gameplay auf. Diese bekommen wir nach und nach und können sie zum einen im Kampf und zur Charakterentwicklung einsetzen (dazu gleich mehr), aber auch um neue Fortbewegungsmöglichkeiten zu erhalten. Sie lassen uns an fixen Stellen etwa einen Supersprung einsetzen, uns mit magischen Enterhaken über Schluchten ziehen, Ranken beschwören oder auf einer Rakete reiten. Auch wenn sich das Konzept spätestens im letzten Viertel der mindestens 40 Stunden langen Geschichte etwas abnutzt, hält einem die Spielwelt so immer genug Karotten vor die Nase.

Carina fliegt mit Reliquie© Square Enix
Die Windreliquie erlaubt uns an manchen Stellen Supersprünge.

Die zahlreichen Nebenquests sind leider spielerisch belanglos und gehen selten über simple Sammelaufgaben hinaus. Ich persönlich habe sie nach kurzer Zeit komplett links liegen lassen. Das Spiel ist ohne Probleme schaffbar, wenn Ihr keine von Ihnen erledigt. Wer aber von Visions of Mana nicht genug bekommt, kriegt gelegentlich sogar kleine, aber feine Geschichten präsentiert.

Visions of Mana bietet Kämpfe mit wenn und aber

Natürlich machen Echtzeitkämpfe einen Großteil des Gameplays aus und die machen grundsätzlich genauso viel Spaß, wie sie es schon in Secret of Mana taten. Bis zu drei Charaktere unserer Gruppe nehmen gleichzeitig teil; wir können immer nur einen aktiv steuern, dafür aber jederzeit wechseln. Die anderen übernimmt die KI, wir können im Menü aber gezielte Handlungsvorgaben verteilen. Mit normalen und Spezialangriffen beharken wir die Gegner und nutzen die Kräfte unserer Reliquien um Elementarschwächen auszunutzen.

Carina Klassenangriff© Square Enix
Die mächtigen Klassenangriffe lassen den Bildschirm ordentlich scheppern.

Das spielt sich angenehm flott und normale Kämpfe dauern selten länger als ein bis zwei Minuten. Dazu kommt eine recht große Auswahl an Gegnern, die jedoch selten eine besondere Taktik erfordern. Normale Feinde sind meist recht schwach und durch simples Draufhauen schnell erledigt. Das ändert sich jedoch bei den Bossgegnern. Diese warten mit mehreren Trefferzonen und Spezialmanövern auf, die wir beobachten und kennen sollten, um effektiv auszuweichen und unseren Schaden zu maximieren. Sonst kann es hier durchaus brenzlig werden, auch auf dem normalen Schwierigkeitsgrad.

Visions of Mana Bossgegner © Square Enix
Einige Bossgegner bringen eine eigene Mechanik mit, bei den meisten erleichtert eine bestimmte Taktik den Kampf.

Leider kommen die Kämpfe nicht ohne kleine, aber doch zahlreiche Komplikationen aus. Beispielsweise ist die Kameraführung oft überfordert. Ein anvisierter Gegner geht gerne Mal verloren; umgekehrt dreht sich die Kamera regelmäßig wieder willkürlich einem Gegner zu, auch wenn wir keinen anvisiert haben, weil wir gerade lieber eine Heilungsvase am Rand der Arena zerschlagen wollen. Die vielen Effekte sehen meist toll aus, im Effektgewitter geht aber viel zu oft die Übersicht flöten.

Visions of Mana Kampf© Square Enix
In den Kämpfen sind die Grafikeffekte nicht immer von Vorteil. Gerade bei vielen Gegnern verliert man schnell die Orientierung. Da hilft auch kein Lock-On.

Entweder man hat Klasse oder eben nicht

Zu guter Letzt ist es eine absolute Designsünde, dass wir unsere ausgerüsteten Reliquien nicht im Kampf wechseln können. Diese bestimmen nämlich zugleich auch die Charakterklassen unserer Figuren und damit zum Großteil, welches Element sie vorrangig nutzen. Da selten im Vorfeld abzusehen ist, welche Schwäche vor allem ein Boss haben wird, kommt es durchaus vor, dass wir dann ohne das passende Element im Ring stehen.

Die Bosse lassen sich trotzdem besiegen, der Kampf dauert dann aber meist eine halbe Ewigkeit. Da die Bosse bis auf zwei Ausnahmen keine Phasenwechsel durchmachen, wird das schlicht unnötig ermüdend. Da lohnt es sich – vor allem im späteren Spielverlauf – leider viel zu oft, einfach den Spielstand neu zu laden und vorher auf neue Klassen umzusatteln. Die Menüstruktur könnte ebenfalls etwas übersichtlicher sein.

Visions of Mana Klassenwechsel© Square Enix
Wechselt ein Charakter erstmals zu einer neuen Klasse, wird eine Verwandlungssequenz abgespielt. Sailor Moon lässt grüßen.

Charaktere zum verlieben

Apropo zäh wie Leder: Als klassisches JRPG der alten Schule wird Visions of Mana regelmäßig durch teils wirklich lange Zwischensequenzen unterbrochen. Die verleihen den Charakteren mehr Tiefe und sind manchmal sogar ziemlich spannend, häufig leider aber auch ziemlich ausufernde Gespräche, ohne groß ausgearbeitete Animationen. So ertappt man sich schonmal beim konsequenten Durchklicken. Da wäre ein strafferes Skript ab und zu Gold wert gewesen.

Dass Visions of Mana trotzdem bei der Stange hält, ist überwiegend den liebevoll ausgearbeiteten Charakteren zu verdanken. Val und Hina schließen sich im Verlauf der Geschichte die restlichen Geweihten an, von denen jeder eine eigene und oft vielschichtige Persönlichkeit mitbringt. Von der stets förmlichen und weltgewandten Königin Palmina über den stolzen, aber von Selbstzweifeln geplagten Morley bis zum vorlauten und temperamentvollen Drachenmädchen Carina ist kein Unsympath dabei.

Visions of Mana Morley schaut zum Mond© Square Enix
Die Zwischensequenzen legen viel Wert auf Anime-typische Bildsprache und Charakterzeichnung.

Zudem wird jedem Charakter genug Raum gegeben und alle machen auf der Reise Ihre persönlichen Entwicklungen durch. Auch untereinander haben die Figuren eine herzerwärmende Dynamik, die gelegentlich während kleinerer Unterhaltungen unterwegs zum Schmunzeln einlädt.

Technik ist das, was du draus machst

Dazu kommt, dass Visions of Mana einfach ein hübsches Spiel ist. Es ist eines dieser Paradebeispiele dafür, dass ein Spiel keine knackscharfen und detaillierten Texturen oder State-of-the-Art Bump-Mapping braucht, um toll auszusehen. Das liegt vor allem an den wunderschönen Charaktermodellen in exquisitem Cell-Shading. Die Spielwelt ist zwar aus simplen Bausteinen zusammengesetzt, aber derart hübsch und detailliert arrangiert, dass das nur beim näheren Hinsehen auffällt und in Bewegung zu keiner Zeit stört.

Visions of Mana Open World© Square Enix
Hübsche Texturen sind das nicht. Trotzdem sieht die Welt in Visions of Mana grundsätzlich wirklich schön aus.

Die bereits erwähnten Grafikeffekte reihen sich da nahtlos ein, auch wenn vor allem Wasser in Bewegung teils seltsam anmutende Schlieren zieht. Auf der Haben-Seite finden sich dafür wunderschöne Lichteffekte, die die Areale in eine geradezu traumhafte Stimmung tauchen. Die Bildrate bleibt dabei (zumindest in unserer PC Version) in den meisten Fällen angenehm stabil und flüssig, nur in den Zwischensequenzen wird gelegentlich auf ein merkwürdig langsames Tempo runtergedrosselt. Vermutlich, um dem Ganzen einen cineastischeren Charakter zu verleihen – ich persönlich habe es als leicht störend empfunden. Störend ist übrigens auch die unangenehm lange Ladezeit zum Spielstart. Danach geht’s zum Glück immer zügig.

Visions of Mana Lichtstimmung© Square Enix
Die Lichtstimmung schwankt zwischen ganz schön und atemberaubend.

Last but not least sei noch der wirklich schöne Soundtrack erwähnt. Die eingängigen Melodien untermalen das Geschehen stets mit der passenden Emotionalität und rufen märchenhafte Erinnerungen an die RPG Klassiker vergangener Zeiten wach. Dabei drängen sich die Klänge nie zu sehr auf, sodass sich die Stücke auch nicht abnutzen. Absolute Ohrwürmer, die sich für immer ins Gedächtnis einbrennen, werdet Ihr hier aber auch nicht finden.

Visions of Mana Kampf im Schnee© Square Enix
Wollen wir mitten im Kampf vom Gegner ablassen und die Energiekrüge am Rand holen, kann sich das unnötig hakelig gestalten.

Fazit: 8/10

Visions of Mana hat mich für über 40 Stunden auf eine Reise voller Pro und Kontra mitgenommen. Die flotten Kämpfe mit den schön animierten Spezialattacken und zahlreichen Anpassungsmöglichkeiten für Charaktere machen Spaß, haken aber (vor allem in den eigentlich soliden Bosskämpfen) an kleinen technischen Macken und Designpatzern. In die Charaktere habe ich mich ziemlich schnell verliebt und mit Spannung Ihren Leidensweg verfolgt. Dafür übertreiben es viele der zahlreichen Zwischensequenzen mit ihrer Langatmigkeit. Das Charaktersystem ist vielfältig, hält immer wieder neue Möglichkeiten bereit und bietet viel Raum zur Gestaltung. Dafür ist es etwas zu Beginn etwas undurchsichtig und die Menüstruktur unnötig umständlich.

Wie viel Spaß Ihr mit Val und den Geweihten habt, hängt maßgeblich davon ab, wie leicht Ihr dem Spiel seine kleinen Mängel verzeihen könnt. Mir persönlich ist es dank der schönen Präsentation und der emotionalen Geschichte, die ab und zu durchaus mit ihrer Konsequenz überrascht, sehr leicht gefallen. Euch erwartet hier eben ein sehr klassisches, geradezu altmodisches JRPG, mit allen Stärken und Schwächen. Dafür habt Ihr zum Beispiel jederzeit die Möglichkeit, Sequenzen zu überspringen, auch wenn das eine gemeine Freiheit ist, da man immer Gefahr läuft, Story-Inhalte zu verpassen.

Unterm Strich bekommt Ihr hier eine würdige Fortsetzung der Mana-Reihe, die aus dem – sicher nicht überwältigenden – Budget doch eine ganze Menge rausholt und dank New Game+ bei Bedarf für viele Stunden beschäftigen kann. Wenn für Euch ein stromlinienförmiger Ablauf und perfekt verzahnte Gameplay-Mechaniken aber ein Must-Have sind, dann zieht hier besser nochmal ein bis zwei Punkte ab.

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