Cult of the Lamb
In den letzten Jahren haben sich zwei Arten von Spielen besonders im Indiebereich zu einer neuen Blütezeit aufgeschwungen. Zum einen hat vor allem Stardew Valley dem Genre der Farming Simulationen wieder zu einer neuen Hochkultur verholfen. Seitdem haben einige andere Titel versucht, im Fahrwasser dessen Erfolges mitzuschwimmen oder das Indiewunder gar zu übertreffen. Zum anderen haben Titel wie the Binding of Isaac oder spätestens Hades die Roguelike-Dungeon-Crawler zu einer festen Größe im Indiebereich gemacht. Mit Cult of the Lamb kombiniert nun das gestandene Entwicklerstudio Devolver Digital beide Genres und garniert das ganze mit einem dermaßen provokanten und absurden Setting, dass man gar nicht anders kann, als neugierig zu werden. Und schon nach kurzer Zeit wird erkenntlich: Trotz Cartoongrafik ist das hier definitiv kein Spiel für kleine Kinder. Doch unter dem abstrusen Mäntelchen steckt erstaunlich gutes Gamedesign!
Ein Herdentier als Herdenführer
Cult of the Lamb fackelt nicht lange und kommt gleich zum Punkt. Im „Land des alten Glaubens“ werden wir von vier monströsen Gestalten, den sogenannten „Bischöfen“, in einem makabren Ritual geopfert. Angeblich, da wir ihnen laut einer nicht näher benannten Prophezeiung gefährlich werden könnten. Auf der Schwelle zum Tode begegnen wir aber ihrem verbannten Bruder. Einem katzenähnlichen Dämon der sich als „Jener, der wartet“ bezeichnet. Er verspricht, uns ins Leben zurückzubringen, sofern wir von nun an einen Kult in seinem Namen aufbauen und seine Geschwister für ihre Gräueltaten zur Rechenschaft ziehen.
Ausgestattet mit (un-)heiligen Kräften, ziehen wir also als wollbedeckter, dämonischer Papst gegen die Bischöfe zu Felde und scharen Anhänger um uns. Mit ihnen bauen wir uns eine Kultstätte auf, die wir immer weiter ausbauen. So wächst sowohl unser Kult als auch die Möglichkeiten den Glauben an uns zu erhöhen. Der Glauben unserer Kultist:innen ist letztlich unsere wichtigste Ressource, da wir durch ihn immer weitere Verstärkungen freischalten, an Macht gewinnen und somit den Bischöfen einfacher Paroli bieten können. Das Gameplay steht dabei grundsätzlich auf zwei Säulen.
Von wegen, „lammfromm„!
Zum einen sind das die die klassischen Level, in Cult of the Lamb „Kreuzzüge“ genannt. Hier werden wir zu beginn mit einer Waffe und einem Zauber ausgestattet und ziehen in klassischer Hack&Slay-Manier los und schnetzeln uns durch verschiedene Ebenen bis zum Endboss. Die Räume jeder Ebene sind dabei zufallsgeneriert, was uns erwartet ist selten bis nicht vorherzusehen. Es kann sich um simple Kampfgebiete handeln, oder wir begegnen einer von vielen interessanten Gestalten, die uns etwa zum Handel einladen, uns Waffen oder Zauber tauschen lassen, temporäre Verstärkungskarten geben oder sich in der Nähe unserer Kultstätte niederlassen um uns zukünftig zu einem Würfelspiel herauszufordern.
Die Kämpfe gehen dabei unheimlich flott von der Hand und die Waffen fühlen sich wirklich verschieden an. Unsere Ausweichrolle hat ein hohes Tempo und große Reichweite. Das gibt uns die Möglichkeit, auch aus ausweglos scheinenden Situationen zu entkommen. Nervenstärke und ruhe am Finger vorausgesetzt. So bleiben die Kämpfe immer unterhaltsam und auch das Trefferfeedback vermittelt ein wunderbares Gefühl für den Wumms einer Waffe oder eines Zaubers. Leider wird das Zielen aufgrund des flachen, Papierhaften Looks in seltenen Fällen auch mal etwas fummelig. Man steht so nah an einem Gegner, dass man denkt, ihn treffen zu müssen, schlägt aber ins Leere. Mit fortschreitender Übung lernt man aber auch diese kleine Unstimmigkeit im Kampfsystem in den Griff zu kriegen.
Jedes der vier Kreuzzug-Gebiete besteht aus vier Leveln inklusive Bossgegner, bevor es den jeweiligen Bischöfen an den Kragen geht. In diesen Sammeln wir vor allem Ressourcen für den Ausbau unserer Kultstätte und die Herstellung von Nahrung. Unterwegs können wir auch Mitglieder für unseren Kult rekrutieren, jeder Bossgegner lässt sich zudem nach seiner Niederlage von uns bekehren. Sterben wir im Gefecht, werden unsere gesammelten Ressourcen halbiert und unser Kult verliert etwas Glauben. Größere Konsequenzen haben wir nicht zu befürchten, was vor allem Roqguelike-Einsteiger:innen sehr zugute kommt.
Ein Schaaf sie zu knechten
Die zweite Säule im Gameplay ist der Basenbau. Mithilfe unserer gesammelten Rohstoffe und Kultist:innen bauen wir Stück für Stück unsere Kultstätte aus, legen Nahrungsfelder an oder bauen hilfreiche Gebäude, die Boni gewähren, oder den Alltag unseres Kults fortschreitend automatisieren. Zudem müssen wir uns stehts um das Wohl unserer Kultist:innen kümmern. Nachts brauchen sie einen Ort zum Schlafen, sind sie hungrig, etwas zu essen und eine Pause bzw. medizinische Versorgung im Krankheitsfall. Krankheiten können zum Beispiel durch mangelnde Hygiene ausgelöst werden. Sind unsere Mitglieder aber gut drauf, generieren sie zum einen mehr Glauben für uns, um Verstärkungen zu erhalten. Zum anderen bekommen wir durch loyale Anhänger:innen auch die Möglichkeit, neue Gebäude freizuschalten.
Des Weiteren schalten wir durch regelmäßige Predigt neue Rituale für unseren Tempel frei. Diese kosten Ressourcen und können erst nach einem bestimmten Cooldown wieder durchgeführt werden. Ihre Wirkungen sind so mächtig, wie vielfältig. Entweder wird der Glauben unserer Kultist:innen erhöht, sie müssen drei Tage lang nichts essen oder arbeiten zwei Nächte durch. Wir können unsere Schäfchen aber auch Halluzinogene Pilze schlucken lassen, um uns für zwei Tage ihre unerschütterliche Zuneigung zu sichern oder Mitglieder opfern, um unsere eigene Stärke zu steigern. Die Rituale sind dabei schaurig–humorvoll bis morbide inszeniert. Das führt zu einem dauerhaften Spiel mit dem eigenen Gewissen, da wir als Sektenführer quasi keinen Deut besser sind, als die Monstrositäten, die wir bekämpfen und unsere Bewohner:innen letztlich wie jede andere Ressource verheizen.
Darüber hinaus haben unsere Mitglieder in unregelmäßigen Abständen bestimmte Anfragen, die sich noch am ehesten mit Quests vergleichen lassen. Die Quests reichen von kleinen Nebensächlichkeiten wie dem Nutzen einer bestimmten Einrichtung oder dem Durchführen bestimmter Rituale bis hin zu der Rettung eines Freundes aus einem Dungeon. Die Quests sind dabei ebenso wahnsinnig, wie der Rest des Spiels („Du willst WAS essen?!?!“). Cult of the Lamb ist bis in die Wollspitzen mit Humor der makabersten Sorte getränkt. Leider verliert der Basenbau gegen Ende des Spiels etwas an Witz, da dann meist nur noch verbesserte Versionen bekannter Gebäude freigeschaltet werden und ohnehin nur noch das Farmen von Glauben Sinn ergibt.
Atmosphäre zum Wolle schneiden
Technisch macht Cult of the Lamb auf der Switch einen guten Eindruck. Der cartoonhafte „Stickerlook“ macht einiges her und konterkariert den brutalen und absurden Inhalt des Spiels. Die Animationen und Mimiken aller Charaktere und Rituale sind liebevoll gestaltet. Besonders die Farbstimmungen erzeugen zu jederzeit eine wohlig schaurige Atmosphäre. Die Level sind abwechslungsreich gestaltet, trotzdem findet sich der düstere Stil überall wieder. Das Ganze läuft größtenteils flüssig sowohl im Handheldmodus als auch in der Dockingstation. Nur vereinzelt hatte ich schwerwiegendere Stotterer im Spiel, ein Bildschirmleben hat mich das zum Glück nicht gekostet.
Die Steuerung geht schnell in Fleisch und Blut über und vor allem das Bauen beschränkt sich auf erfreulich simple Funktionen; vieles im Camp läuft automatisch ab. Leider kann aber auch das nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Verwalten unseres Kults mit zunehmender Größe immer fummeliger wird. Je mehr Kultmitglieder auf einem Haufen herumwuseln, umso schwieriger wird es, das richtige Mitglied anzusprechen und anzuweisen. Das kann gegen Ende schon etwas nerven.
Cult of the Lamb Fazit 8/10
Ein Spiel wie Cult of the Lamb ist mir schon lange nicht mehr untergekommen. Die abstruse, vor makabrem Humor triefende Präsentation und Prämisse des Spiels erzeugt ebenso Unbehagen, wie sie von Sekunde eins an fasziniert. Devolver Digital haben hier wirklich mal wieder eines dieser Spiele geschaffen, bei denen man sich wirklich nicht sicher sein kann, was noch passieren wird. Egal, ob das eine Begegnung mit einer tragischen Figur, einem neuen Gegnertypen oder einer vollkommen geisteskranken Questanfrage ist: Die Spielwelt ist konsequent, blutet Atmosphäre und unterhält bestens zu jeder Zeit. Dazu gesellt sich die allgegenwärtige und mal mehr, mal weniger subtil eingewobene Fragestellung nach Moral und Sitte. Sowohl im Gameplay als auch erzählerisch.
Zudem habe ich selten einen so funktionierenden Spielfluss erlebt. Absolut alles, was ich in Cult of the Lamb tue, bringt mich in irgendeiner Form voran. Zeit zu verschwenden, ist im Grunde unmöglich. Ich habe keine Lust auf Dungeons oder Basenbau, sondern will lieber eine Runde Würfelspiel absolvieren? Das gewonnene Geld hilft mir beim Bau oder Ritualen weiter. Dazu kommt, dass alles in diesem Spiel mit unheimlich hohem Tempo passiert. Nichts dauert länger als eine halbe bis zwei Minuten; abgesehen von den Dungeons, die mit durchschnittlich 12-15 Minuten aber auch sehr kompakt ausfallen. Cult of the Lamb ist das perfekte Spiel für zwischendurch, das einen aber auch ganz schnell für einen kompletten Abend an den Bildschirm fesselt.
Das liegt vor allem daran, dass in Cult of the Lamb sämtliche Gameplay Elemente und Tätigkeiten Hand in Hand gehen. Ich baue meinen Kult aus, um besser für Dungeons gerüstet zu sein. Die dort erbeuteten Ressourcen helfen mir wieder beim Bau. Es entsteht ein Gameplay-Loop, der diesen Namen auch wirklich verdient und bei dem ich auch so gut wie nichts falsch machen kann. Natürlich kann ich bestimmte Vorgänge optimieren oder fahre in einer bestimmten Situation besser mit einem bestimmten Gebäude. Doch habe ich etwa einmal viel von einer Ressource gesammelt, kann ich diese meist auch in irgendeiner Weise in eine andere Ressource umtauschen. Viele Elemente sind sehr gut durchdacht und führen mich sanft durch das Spiel, ohne mich zu sehr einzuengen. Für mich ist Cult of the Lamb die Überraschung der letzten Monate und das konnte ich selbst zuerst kaum glauben.